Islamisten in Winterthur«Auch in der Schweiz sind Köpfungen möglich»
Besteht für die beiden Opfer von der An'Nur-Moschee weiterhin Gefahr? Experten schliessen nicht aus, dass es zu Racheakten kommt.
Zehn Personen aus dem Umfeld der umstrittenen Winterthurer An'Nur-Moschee wurden am Dienstag verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, am 22. November 2016 in der Moschee zwei Glaubensbrüder massiv geschlagen, misshandelt und eingeschlossen zu haben. Der Grund: Die Opfer sollen Informationen aus der Moschee an den Journalisten Kurt Pelda weitergegeben haben.
Auch gegen Pelda gingen Drohungen ein: «Ein Moschee-Mitglied sagte mir, dass es kein Problem wäre, meine Wohnadresse oder jene der Schule meiner Kinder herauszufinden», sagt er. Er wisse, dass gegen den leitenden Polizeioffizier in diesem Fall dieselbe Drohung ausgesprochen worden sei.
«Anzeigeerstatter müssen geschützt werden»
Es sei klar, dass nach der Verhaftungswelle auch Racheaktionen gegen ihn stattfinden könnten. «Ich habe keine Angst, aber klar bin ich vorsichtig», sagt der Reporter. Beispielsweise schaue er, ob ihm jemand folge oder ob Leute vor seinem Haus stünden. «Es ist schon eine neue Dimension, dass an einem Ort, wo ich mich eigentlich sicher fühle, solche Drohungen in der Luft liegen», so Pelda.
Obschon auch er nun im Visier der Radikalen stehen könnte, bereiten Pelda die möglichen Angriffe auf die Muslime, die mutmasslich angegriffen wurden, mehr Sorgen: «Als Zeugen sagen sie gegen die mutmasslichen Täter aus. Solche Aussagen können aber in einem Verfahren jederzeit zurückgezogen werden.»
Polizeischutz für die Opfer?
Die Wahrscheinlichkeit, dass sie von den Beschuldigten, die möglicherweise wieder freigelassen werden, oder von deren Umfeld bedroht oder angegriffen werden, sei deshalb hoch. «Es wäre zu hoffen, dass die Polizeiaktion nun wirkt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob sich die Radikalen im Umfeld der An'Nur-Moschee von den Behörden einschüchtern lassen.»
Dass aber Leute bedroht werden, damit sie ihre Aussagen zurückziehen, dürfe in einem Rechtsstaat nicht passieren. «Deshalb müssen die beiden geschützt werden», sagt Pelda. Die Polizei und der Anwalt der mutmasslichen Opfer seien noch auf der Suche nach einer diesbezüglichen Lösung, man sei dabei aber schon weit fortgeschritten.
Die Kantonspolizei Zürich bestätigt, dass man eine entsprechende Anfrage der Opfer erhalten habe und mit ihnen in Kontakt stehe. Weitere Angaben könne die Polizei zum jetzigen Zeitpunkt nicht machen.
«Es könnte Racheakte geben»
Doch besteht wirklich eine konkrete Gefahr? «Grundsätzlich müssen jetzt alle Beteiligten aufpassen und es dürfen keine Fehler mehr passieren», sagt der Extremismus-Experte Samuel Althof. Man müsse davon ausgehen, dass es nun Leute gebe, die die Kränkung dieser Verhaftung nur über Gewalt abarbeiten könnten. «Das Schlimmste, was nun passieren könnte, ist, dass Gewalthandlungen unter den Moschee-Mitgliedern, gegenüber den Informanten oder dem Journalisten Kurt Pelda stattfinden», sagt Althof.
Laut Pelda wurde einem der beiden Opfer während der Attacke im November gesagt, man werde es köpfen. Da sein Blut aber dreckig sei, werde das nicht in der Moschee geschehen. Könnte eine solche Drohung wirklich wahrgemacht werden? Althof: «Ich habe Hemmungen, mir das vorzustellen, weil es wirklich widerlich ist. Aber man kann nicht ausschliessen, dass es in der Schweiz Köpfungen geben könnte.»
«Die Verhafteten haben eine grosse Kränkung erlebt»
Umso mehr sei jetzt Vorsicht geboten: «Wenn man über solche Geschichten berichtet, wie es Kurt Pelda macht, muss man die Zusammenhänge sehen und sich auch bewusst sein, was man damit auslöst», sagt Althof. Wer jetzt auf ein gereiztes und gewaltaffines Umfeld, wie es die Moschee sei, einwirke, stimuliere die Gewaltbereitschaft gewisser Leute. Durch ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen könne aber noch jetzt eine Eskalation verhindert werden.
Auch Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, sagt: «Es könnte gut sein, dass es zu Racheakten kommen könnte.» Allerdings denke sie nicht, dass sich diese gegen Pelda richten würden: «Die Verhafteten haben eine grosse Kränkung erlebt. Es wäre möglich, dass diese die Informanten als Sündenböcke bestrafen wollen. Allerdings wäre auch denkbar, dass Racheakte aus dem Umfeld der beiden mutmasslichen Opfer kommen könnten», so Keller-Messahli.
«Behörden müssen konsequent handeln»
Doch Keller-Messahli relativiert: «Ich habe das Gefühl, dass der Schlag der Polizei nachhaltig wirken wird.» Auch wenn die Verhafteten freikommen würden, sei ihnen bewusst, dass sie von der Polizei genau beobachtet würden: «Ihr höchstes Ziel ist, weiter wirken und ihr radikales Gedankengut weitervermitteln zu können. Dass sie dieses Ziel gefährden wollen, indem sie Rache ausüben, ist eher unwahrscheinlich.»
Würden die Beschuldigten freigelassen, müsse man sie jedoch beobachten und ihnen Auflagen machen: «Wenn sie sich nicht an das Gesetz halten, muss ihnen das Bleiberecht entzogen werden.» Für Keller-Messahli steht fest: «Es ist höchste Zeit, dass die Behörden nun konsequent handeln und diesen Extremisten zeigen, dass sie nicht schalten und walten können, wie ihnen beliebt.»